· 

Besuch vom Vorsitzenden der Berliner Tierversuchskommission

Am 12. April 2018 haben wir, das Aktionsbündnis Berlin gegen Tierversuche, uns mit dem Vorsitzenden der Tierversuchskommission (TVK) in Berlin getroffen. Doch bevor wir von dem Treffen berichten, möchten wir euch einen Einblick geben, wie Tierversuche eigentlich beantragt und genehmigt werden und welche Rolle die TVK dabei einnimmt.

 

Wer genehmigt eigentlich Tierversuche?

 

Grundsätzlich unterscheidet das Tierschutzgesetz zwischen anzeige- und genehmigungspflichtigen Tierversuchen. Anzeigepflichtige Tierversuche müssen lediglich angezeigt werden. Darunter fallen beispielsweise toxikologische Tests, die gesetzlich vorgeschrieben sind, oder auch Versuche in der Lehre für Aus-, Fort- und Weiterbildung.

 

Wollen Forscher*innen und Wissenschaftler*innen einen Tierversuch durchführen, der z.B. unter die Grundlagen- oder Arzneimittelforschung fällt, müssen sie einen Antrag bei der zuständigen Genehmigungsbehörde stellen. In Berlin ist das das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo). Eine Kommission, auch TVK genannt, steht der Behörde dabei beratend zur Seite.

 

Wer bildet die Tierversuchskommission in Berlin?

 

Die TVK in Berlin besteht derzeit aus sieben ordentlichen Mitgliedern, darunter ein/e Vorsitzende/r. Stets ein Drittel der Mitglieder muss auf Vorschlag von Tierschutzorganisationen einberufen werden, die anderen beiden Drittel setzen sich meist aus Wissenschaftler*innen zusammen, wobei diese selbstverständlich auch Tierschützer*innen sein können. Eine Besonderheit gibt es in Berlin: Hier wird zusätzlich ein/e Ethiker/in als ordentliches Mitglied berufen. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, erhalten jedoch pro bearbeiteten Antrag eine Aufwandsentschädigung

 

Was macht die Tierversuchskommission?

 

Die zuständige Genehmigungsbehörde, in Berlin also das LAGeSo, muss der TVK Genehmigungsanträge unverzüglich mitteilen. Danach hat die Kommission Zeit Stellung zu beziehen.

  • Ist der Tierversuch „nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den in § 7 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) aufgeführten Zwecken unerlässlich“ und kann „der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden“?
  • Sind die Schmerzen und Schäden, welche die Tiere während des Versuchs durchleiden, ethisch vertretbar?
  • Wird der Tierversuch nicht für mehr Tiere beantragt, „als für die Beantwortung der Fragestellung unter Berücksichtigung biometrischer Verfahren unerlässlich ist“?

Alle Informationen stammen von der Website des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), hier findest du noch mehr Informationen zur Tierversuchskommission in Berlin.

 

Im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Tierversuchskommission

 

Eine enttäuschende Bilanz

 

Wir vom Bündnis Berlin gegen Tierversuche wollten es genauer wissen, daher haben wir eine Anfrage gestellt, wer der Sprecher der TVK ist. Daraufhin hat sich der Vorsitzende der Kommission bei uns gemeldet und wir konnten uns am Donnerstag, 12.04.18, zu einem persönlichen Gespräch mit ihm treffen. Seinen Namen dürfen wir aufgrund von Schutzrechten nicht nennen.

 

In einer kleinen Vorstellungsrunde erfuhren wir, dass der Vorsitzende der TVK lange Zeit als Fachtierarzt für Pharmakologie und Toxikologie bei einem Pharmaunternehmen arbeitete. Bereits seit 1987, dem Gründungsjahr der Berliner TVK, ist er Mitglied und wurde mehrfach von den ordentlichen Mitgliedern und nicht ordentlichen Mitgliedern als Vorsitzender gewählt. Gleich zu Beginn ließ er auch keine Zweifel offen, dass er „Tierversuche für absolut notwendig“ halte.

 

Ca. 10 Tage Zeit für die Durchsicht von 10-15 Tierversuchsanträgen

 

Wir hatten natürlich viele Fragen, so wollten wir beispielsweise wissen, wie genau die TVK in Berlin arbeitet. Laut Vorsitzendem der TVK besprechen die Mitglieder unter Beisein von mind. zwei Vertretern des LAGeSo alle 14 Tage in einer 4-5 stündigen Sitzung die Tierversuchsanträge, die sie bereits im Vorfeld erhalten. Laut Vorsitzendem der TVK werden 10-15 Anträge pro Sitzung behandelt. Da die Sitzung alle 14 Tage stattfindet, bleibt den Mitgliedern ca. ein Tag zur ordentlichen Prüfung eines Tierversuchsantrags, der 30-50 Seiten umfasst. Da die Kommission zudem ehrenamtlich arbeitet, dürfte die tatsächlich aufgewendete Zeit bei ein bis zwei Stunden pro Antrag liegen, dies trifft auch auf die aufgewendete Zeit des Vorsitzenden der TVK laut eigener Aussage zu.

 

In Anbetracht des hohen Seitenumfangs und der Komplexität der Versuchsvorhaben bezweifeln wir eine sorgfältige Prüfung und Bewertung der Anträge auf Unerlässlichkeit des Versuchs sowie dass keine tierversuchsfreien Methoden für den Zweck eingesetzt werden können. Dies würde nicht nur sehr viel Zeit für eine intensive Recherche bedeuten, sondern auch Sachverstand in allen wissenschaftlichen Bereichen voraussetzen.

 

„Es geht kaum ein Antrag glatt durch.“

 

Sehr häufig, der Vorsitzende der TVK schätzt bei 95 % der Anträge, schlägt die Kommission der Behörde Änderungen des Antrags vor, z.B. durch eine Reduzierung der Anzahl der Tiere oder eine Tötung des Tieres zu einem früheren Zeitpunkt als vorgesehen, da das Tier zu diesem Zeitpunkt schon sehr schweren Schmerzen und Qualen ausgesetzt sein wird. Erschreckend ist für uns jedoch, dass so gut wie kein Antrag abgelehnt wird.

 

Haben Wissenschaftler*innen z.B. zu viele Tiere für einen Tierversuch beantragt und das LAGeSo kommt der Empfehlung der Kommission nach, muss der Antrag erneut gestellt werden und den normalen Genehmigungsprozess durchlaufen. Das bedeutet mehr Aufwand und zusätzliche Kosten, die jedoch nicht auf die zuständigen Wissenschaftler*innen umgelegt werden.

 

Wir fordern: Mehr Transparenz und sorgfältige Prüfung

 

Als Fazit müssen wir festhalten, dass das Gespräch mit dem Vorsitzenden der TVK sehr ernüchternd und eher enttäuschend war. Wider Erwarten gibt es laut Aussagen des Vorsitzenden keine Bestrebungen der Kommission, mehr Transparenz zu schaffen, welche Tierversuche beantragt, genehmigt oder auch abgelehnt werden. Auch sehen sie die Umsetzung des Koalitionsvertrags des Berliner Senats nicht als ihre Aufgabe. In diesem heißt es, dass Tierversuche auf das absolut notwendige Maß reduziert werden sollen und Berlin zur „Forschungshauptstadt für Ersatzmethoden“ werden soll.

 

Mehr Transparenz würde die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung begünstigen. Derzeit gibt es keine Möglichkeit, die eingehenden Anträge bereits vor der Genehmigung zu sichten. So wird ausgeschlossen, dass z.B. auch andere Wissenschaftler*innen, die Experte auf gewissen Gebieten sind, Stellung beziehen oder sinnvolle tierversuchsfreie Methoden vorschlagen können, welche den Kommissionsmitgliedern eventuell nicht bekannt sind. Uns ist bewusst, dass die TVK nicht allein für mehr Transparenz sorgen kann, den Wunsch äußern und einen Anstoß geben jedoch schon.

 

Um den Koalitionsvertrag voranzubringen braucht es, unserer Meinung nach, auch einen Paradigmenwechsel, nicht nur in den Köpfen von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Der Tierversuch darf nicht länger als Goldstandard und einzige Möglichkeit gelten, relevante Wissenschaft zu betreiben. Uns hat es sehr getroffen, dass dieses Umdenken beim Vorsitzenden der TVK noch nicht eingesetzt hat.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0