
Die TissUse GmbH wurde Anfang Februar 2019 als Firma der Woche im Tagesspiegel vorgestellt. Berlin gegen Tierversuche nutzt diesen Anlass, um die verwendete Technologie näher vorzustellen und ihre Bedeutung zu diskutieren.
Tierversuche stehen vermehrt in der Kritik. TissUse ist ein schönes Beispiel, wie daraus Konsequenzen gezogen werden: Der menschliche Stoffwechsel wird im Labor abgebildet. Gemäß dem Motto des
Unternehmens „Emulating Human Biology“ wird dabei die menschliche Biologie nachgebildet. Im Gegensatz dazu wird bei Tierversuchen die Biologie von mehr oder weniger genetisch nahe verwandten
Säugetieren studiert.
Bei dem von TissUse verfolgten Ansatz werden die Einheiten menschlicher Organe in kleinstmöglichem Maßstab nachgebaut. Dies wird als Organ-on-a-Chip bezeichnet. Um das Wechselspiel zwischen
verschiedenen Organen oder ganzen Organsystemen zu studieren, können mehrere Organe abgebildet und verbunden werden. Dies wird als Multi-Organ-Chip (MOC) bezeichnet. Anhand eines
Zusammenschlusses von Darm, Leber und Niere kann zum Beispiel die Aufnahme eines Medikaments durch den Darm, die Verstoffwechslung in der Leber und die Ausscheidung in der Niere verfolgt und so
wichtige Informationen zum Verhalten neuer Medikamente im menschlichen Körper gewonnen werden. Ein weiterer Vorteil gegenüber dem Tierversuch ist die höhere zeitliche Auflösung. Während im
Tierversuch Blutabnahmen aufwendige Eingriffe darstellen und nur zu bestimmten Zeitpunkten Informationen liefern, kann beim MOC in Echtzeit verfolgt werden wie hoch die Wirkstoffkonzentration an
diversen Punkten ist und wie der Wirkstoff abgebaut wird.
Zur besseren Aussagekraft für den menschlichen Körper werden zunehmend mehr nachgebildete Organe in einem Kreislauf zusammengeschlossen. Dabei können auch die Einflüsse von beispielsweise Lunge,
Knochen, Muskeln oder Hormondrüsen berücksichtigt werden. Aufgrund der Komplexität werden diese Chips häufig Human-on-a-Chip genannt.
Mit diesen Technologien können letztlich neue Medikamente und ihre Wirkungen im menschlichen Körper kostengünstiger, schneller und umfassender studiert werden. Betrachtet man die Tatsachen, dass
über 90 Prozent der vielversprechenden Medikamente letztlich scheitern, weil sie im Menschen anders wirkten als zuvor in Tierversuchen und dass laut der amerikanischen Behörde FDA die Entwicklung
eines neuen Medikaments aktuell im Schnitt 12 Jahre dauert bzw. umgerechnet über 300 Millionen Euro verschlingt, wird klar, dass es höchste Zeit ist, neue Wege einzuschlagen.
Dieser Wandel ist auch in der Wissenschaft spürbar. Fanden sich Anfang 2010 für das Stichwort „organoid“, der englischen Bezeichnung für die Nachbildung von Organen, nur knapp 50
wissenschaftliche Publikationen, hat sich deren Zahl im Jahr 2012 bereits fast verdoppelt (93 Publikationen). Im vergangenen Jahr 2018 fanden sich sogar mehr als zehnmal so viele, bereits über
1.000 Artikel wurden in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht.
Der jüngste Rückgang von Tierversuchen in der Giftigkeitsprüfung in Berlin um ca. 13.000 Tiere (von 2016 zu 2017) ist mitunter dem Fortschritt dieser neuen Technologien zu verdanken. Dennoch
litten 2017 allein in Berlin fast 50.000 Tiere in der Giftigkeitsprüfung. Dabei ist wichtig zu betonen, dass die Giftigkeitsprüfung nur ein Viertel aller Tierversuche abdeckt und der
überwältigende Teil der Versuchstiere in der Grundlagenforschung stirbt. Die Versuchstiere in der Grundlagenforschung und translationalen Forschung nehmen hingegen nicht ab und summieren sich
aktuell auf bundesweit ca. 1,3 Millionen Tiere.
Berlin gegen Tierversuche fordert daher die konsequentere Förderung und Umsetzung tierversuchsfreier Forschung und betont, dass die Unzulänglichkeiten des Tierversuchs in der Grundlagenforschung
ebenso gravierend sind wie in der Giftigkeitsprüfung.