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Im Labor wurden einige Ratten getötet um zu beweisen, dass Ratten verstecken spielen können und Spaß am Spiel hatten

Im Labor wurden einige Ratten getötet um zu beweisen, dass Ratten verstecken spielen können und Spaß am Spiel hatten
Ratten haben Spaß am Versteckspiel? Was wie eine harmlose Beobachtung klingt, wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin nach den Gesetzmäßigkeiten der Grundlagenforschung bewiesen. Zwar ist der Großteil des Artikels im Science magazine hinter einer Paywall verborgen1, doch anhand der medialen Berichterstattung  kann auf wesentliche Teile des Versuchsaufbaus geschlossen werden . Im Fokus der Medien steht der Verhaltensteil des Experiments. In einem übersichtlich gestalteten Raum mit mehreren Versteckmöglichkeiten verbirgt sich eine Bezugsperson und die Luke des Rattenkäfigs wird geöffnet, welche anschließend den Raum absucht, oder alternativ verbirgt sich die Ratte und die Bezugsperson muss diese ausfindig machen. Bei erfolgreicher Mission war die Belohnung für die Ratte soziale Interaktion.


Soweit erinnert der Aufbau an die zuletzt viral gewordene Idee eines Spiels mit Haustieren. Zahlreiche Hunde- und Katzenbesitzer versuchten einen ähnlichen Spaß, indem sie sich vor den Augen ihres Haustieres hinter einem Handtuch verbargen, das Handtuch fallen ließen und schnell um die Ecke verschwanden, noch bevor sie für ihre Vierbeiner wieder sichtbar wurden. In den meisten Fällen waren die Tiere perplex ob des verschwundenen Menschen und begannen die Suche. Und ebenfalls dürfte in den meisten Fällen eine gelungene Suche mit sozialer Interaktion belohnt worden sein, indem mit dem Hund oder der Katze gesprochen oder diese liebevoll gestreichelt wurden.


Im Gegensatz zum harmlosen Spiel für die Tiere zuhause, war für die Ratten im Labor das Versteckspiel Teil eines wissenschaftlichen Experiments. Zu diesem Zweck sind die Ratten eingekauft bzw. gezüchtet worden, wurden operiert und nach erfolgtem Experiment sind die Tiere getötet worden. Denn neben den tollen Videos, welche man mitunter auf cnn.com ansehen kann2, waren wesentliche Fragen, welche Gehirnregionen der Ratten beim Versteckspiel aktiv sind. Dazu müssen den Tieren vorab Elektroden in den Kopf operiert worden sein. Es erforderte also eine Vollnarkose, die Öffnung des Rattenschädels, die Positionierung der Elektroden, das Implantieren einer Stützstruktur und die Nachbehandlung eines solch schwerwiegenden Eingriffs, bzw. die Gewöhnung an den neuen Apparat. Anders als auf den eingeblendeten Werbefotos des Videos dürften die Ratten des Experiments wie die üblich operierten Nagetiere ausgesehen haben, bei welchen man die Hirnaktivität aufnehmen möchte3.


Wie in der Grundlagenforschung üblich, werden die Tiere nach einem Experiment getötet, sofern sie nicht in einem anderen Experiment weiterverwendet werden können. Gerade bei Fragen der Neurobiologie dürften aber spezifisch trainierte Ratten für weitere Versuche ausscheiden, da ihre Vorerfahrungen sich von denen anderer Ratten unterscheiden. Das bedeutet, am Ende des Experiments wird der überwiegende Teil der Ratten getötet worden sein.


Mit Elektroden in bestimmten Bereichen des Rattengehirns können die Forscher auch "neurale Korrelate" benennen. Das heißt, die Forscher können nicht nur sagen, die Tiere hätten offenbar Spaß am Spiel gehabt, denn die Ratten hätten dabei freudige Geräusche von sich gegeben, hätten sich gleich nochmal versteckt oder seien vor Freude in die Luft gesprungen, wie die Medien bereitwillig aufgreifen. Die Forscher können das auch auf neurobiologische Ergebnisse stützen. Die Ratten verhielten sich unterschiedlich, je nachdem in welcher Rolle sie sich befanden und dieses unterschiedliche Verhalten zeigte sich auch in der Gehirnaktivität.. Nun, die offensichtliche Freude dürfte nur kurz angehalten haben, denn schließlich musste das Tier für dieses Ergebnis nach erfolgtem Experiment getötet werden.


Was wie eine herzerfrischende Anekdote klingt, nämlich, dass Ratten Spaß daran hatten, verstecken zu spielen, war für die Tiere selbst von Anfang an lebensbedrohlich. Um zu diesen Ergebnissen zu kommen, mussten die Forscher planen, die Tiere anzuschaffen, zu operieren, auf das Spiel zu trainieren, das Versteckspiel aufzunehmen, die Tiere zu töten, die Gehirne, Elektrodenmessungen und Videos auszuwerten und am Ende zu veröffentlichen. Die beteiligten Ratten selbst waren dabei ein Werkzeug, das man einkaufen, präparieren und nach Nutzung entsorgen musste.


Und das Ergebnis ist: Ja, Ratten haben tatsächlich Spaß daran, verstecken zu spielen und es sind dabei die erwartbaren Bereiche des Gehirns aktiv. Wenig überraschend lässt sich in der Hirnaktivität auch ableiten, ob die Ratte sich in der Rolle des Suchenden oder des Versteckenden befindet.


Für die Wissenschaftswelt neu hingegen ist das Ergebnis, dass Ratten sich bei diesem Spiel in das Gegenüber hineindenken können müssen und zu strategischem Handeln fähig sind. Was jeder Person, welche Ratten als Tiere zuhause kennt, bekannt sein dürfte, wurde hierbei auch für Wissenschaftler nachvollziehbar belegt. Ob diese Erkenntnisse, dass auch Ratten verspielte, strategische und empathische Tiere sind, Einfluss darauf hat, ob sie weiterhin als Messinstrumente in der Forschung verwendet werden, bleibt zu bezweifeln.


Während dieser Artikel das Debüt für die junge Wissenschaftlerin Annika Stefanie Reinhold darstellte, ist ihr Zweitautor Professor Michael Brecht mit über 300 Publikationen in der Datenbank pubmed.gov bereits ein alter Hase und berühmt dafür, die Einzelzellableitung bei lebenden Ratten vorangetrieben zu haben. Dafür erhielt er 2012 den hochdotierten Leibnitz-Preis4. Den aus Affenversuchen in Tübingen berühmt berüchtigten Versuchsaufbau hat er für Nagetiere entwickelt: die Operation am Schädel und die Fixierung des Kopfes eines lebenden Tieres, um die Aktivität einzelner Nervenzellen zu messen5.


Quellen:
(1) https://science.sciencemag.org/content/365/6458/1180.long
(2) https://edition.cnn.com/2019/09/13/europe/rats-hide-seek-intl-scli-scn/index.html?
(3) https://www.heise.de/select/tr/2017/4/1490638835653876
(4) https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/archiv/nr1112/pm_111208_01
(5) https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00424-002-0831-z